“Stressfrei früher fertig werden”: Arbeitswirtschaftliche Stellschrauben in der Marktgärtnerei

Mitte März 2023 hat Renate Spraul einen eigenen Arbeitswirtschaft-Workshop für die Praxisbetriebe der Operationellen Gruppe Marktgärtnerei gestaltet. Ziel des Workshops war es, den Blick zu schärfen für die arbeitswirtschaftlichen Details im Gärtnereialltag. Was kann ich weglassen, ohne dass darunter die Qualität leidet? Wie kann ich Abläufe und Handgriffe optimieren, um im Endeffekt „stressfrei früher fertig zu werden“?

Aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung hat Renate dazu eine ganze Reihe an Praxistipps aufgezeigt, die nicht nur den sechs Betrieben der Projektgruppe, sondern allen aktiven und angehenden Marktgärtnerinnen und Marktgärtnern nützen sollen. Dazu gibt es diesen und weitere Blogbeiträge, die gerne auch geteilt und kommentiert werden dürfen. In der Fotogallerie am Ende des Beitrags sind in den einzelnen Bildbeschreibungen weitere Praxistipps zu finden!

Renate Spraul beim Arbeitswirtschaft-Workshop am 15.03.2023 in Füllersdorf

Von Lean Management zu Lean Farming

Arbeitswirtschaft hat ihre Wurzeln ursprünglich in der Industrie. Die zugrundeliegenden Aspekte wurden vor allem durch das von Toyota geprägte „Lean Management“ (zu deutsch: „schlankes Management“) bekannter. Viele dieser Prinzipien sind auf nahezu alle Wirtschaftsbereiche anwendbar und damit auch für die Landwirtschaft interessant. Das hat unter anderem Ben Hartman, Marktgärtner aus den USA, erkannt und mit seinen zwei Bestsellern „The Lean Farm“ und „The Lean Farm Guide to Growing Vegetables“ das Thema Arbeitswirtschaft endgültig im landwirtschaftlichen Kontext verankert.

Im deutschsprachigen Raum ist Renate Spraul mit über drei Jahrzehnten arbeitswirtschaftlicher Erfahrung im Gemüse- und Gartenbau eine der wichtigsten Wegbereiter*innen der Lean-Farm-Bewegung. Schon immer in der Beratung vom kleinen Familienbetrieb bis zum größer strukturierten Betrieb, ist sie nun seit einigen Jahren auch verstärkt in der Marktgärtnerei unterwegs.

Jede Sekunde zählt

Renate betont, dass Arbeitswirtschaft alle Bereiche unserer täglichen Arbeit in der Gärtnerei umfasst. Angefangen bei der der Pflanze selbst, über die Optimierung der Kulturführung und der ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes bis hin zur Mitarbeiterkommunikation und den einzelnen Arbeitsmethoden. In jedem einzelnen Bereich können viele verschiedene Faktoren so (um-)gestaltet werden, dass wir mit unserer Arbeit „stressfrei früher fertig werden“. Ziel ist es also, nicht schneller sondern effizienter zu arbeiten. Das bedeutet - wenn möglich - den Aufwand zu reduzieren bzw. die Methodik zu optimieren.

Und um dieses Ziel zu erreichen, lohnt es sich, den eigenen Blick auf die Details zu schulen. In der Arbeitswirtschaft geht es nämlich um jede Sekunde, die eingespart werden kann. In der Summe werden diese überschüssigen Sekunden schnell zu Minuten, zu Stunden und bald zu Wochen und Monaten an zusätzlicher Arbeitszeit, die eigentlich zu vermeiden wäre.

 

Ein Rechenbeispiel:

Übergabegriffe sind eine super Möglichkeit, Zeit einzusparen. Dabei geben wir ein Objekt von einer Hand in die andere. Manchmal ist das nicht gänzlich zu vermeiden, meistens allerdings passieren uns viel mehr Übergabegriffe als für den jeweiligen Arbeitsschritt notwendig wären. Und jeder einzelne Übergabegriff kostet uns rechnerisch 0,24 bis 1 Sekunde Zeit (je nach Abstand der beiden Hände zueinander). Bei lediglich 500 vermiedenen Übergabegriffen (mit exemplarisch je 0,5 Sekunden) pro Person und Arbeitstag sind das zum Beispiel 500 * 0,5 Sek = 4,17 Minuten pro Tag, bei 5 Arbeitstagen = 20,83 Minuten pro Woche, 89,58 Minuten pro Monat und 1075 Minuten (17,92 Stunden) pro Jahr. Bei 5 Mitarbeitenden sind das allein bei diesem Beispiel 89,58 Stunden pro Jahr, die zusätzlich geleistet bzw. umsonst bezahlt werden müssen. Also quasi mehr als zwei ganze Arbeitswochen, die verloren gehen.

 

Die Stellschrauben in der Marktgärtnerei

Die nachfolgende Grafik von Renate soll einen ersten Überblick geben über die verschiedenen Bereiche der Marktgärtnerei, die einen Einfluss auf den gesamten Arbeitszeitbedarf haben und die wir aus arbeitswirtschaftlicher Sicht optimieren können. Einige Anregungen für mögliche Ansatzpunkte innerhalb der einzelnen Bereiche sind im Folgenden angeführt.


Pflanze
Sortenwahl (Standortanpassung, Einheitlichkeit, Lagerfähigkeit…), Pflanzengesundheit, Erntezeitpunkt (im optimalen Stadium, um den Aufbereitungsbedarf zu reduzieren)…

Kulturführung
Kulturführung so optimieren, dass Pflanzen möglichst gesund wachsen (Ziel: geringerer Aufwand für Kulturschutz und Aufbereitung) und effizient gepflegt und geerntet werden können, z.B. Direktsaat oder Pflanzung, Pflanzabstand, Freiland oder Gewächshaus, Aufleitsysteme…

Klima
Umgang mit Witterungseinflüssen, Bewässerungstechnik, Hagelschutznetz, Vlies, geschützter Anbau, Arbeitsorganisation je nach Wetter (Hitze, Frost, Regen)…

Verpackung
Was ist notwendig und worauf könnte verzichtet werden?, Was fordern die Kunden?, Manipulationsbedarf, Transport, Lagerfähigkeit…

Arbeitsplatz
Welche Arbeitsmittel sind wo aufbewahrt? (eindeutig auffindbar, leicht erreichbar, kurze Greifwege), ergonomische und sichere Gestaltung des Arbeitsplatzes, Beleuchtung, Beschriftung…

Menge
Optimierung der Satzgrößen (nicht zu viel und nicht zu wenig von einer Kultur), Anpassung der Mengen an eigene Kapazitäten (Aufbereitung, Lager, Transport)… Generell gilt: Rationelles Arbeiten ist im Detail nicht mengenabhängig, da der einzelne Arbeitsschritt an der Pflanze gleich aufwändig ist, egal ob ich 50 oder 5000 Stück bearbeiten möchte.

Transport
Geeignete Transportmittel für div. Gegebenheiten/Kulturen (Karren, Erntewägen, motorisierte Fahrzeuge…), Kisten (Art, Größe, Menge, Handling), Erntegebinde (Erntetaschen, Gemüsekisten, Großkisten…), Transportwege (Breite, Beschaffenheit, Länge), Lieferung (Zeiten, Fahrzeuge, Routenplanung)…

Organisation
Mitarbeitereinteilung, was/wann/wer/wo/wie lange?, Arbeitseinteilung (Pläne für Jahr, Monat, Woche, Tag), Arbeits- und Pausenzeiten, Orientierung in der Gärtnerei vereinfachen (Beschriftungen, interne Nummerierung der Beete/Blöcke, wo steht gerade welches Kultur?)…

Kunden
Anforderungen (Qualität, Verpackung, Menge, Zusatzleistungen wie Sonderetikettierung…), Bestellprozess, Kommunikation…

Mitarbeiter*innen & Kommunikation
Verantwortlichkeiten, Teams, Einschulung, Kontrolle/Hilfestellung, Kommunikationswege, Besprechungen, Feedbackkultur…

Arbeitsmethoden
Arbeitsablauf, Werkzeug, Handgriffe, Qualitätsstandards, stetiges Optimieren…

 

Weniger ist oft mehr

Jeder Optimierungsprozess beginnt mit der Überlegung, was man vereinfachen oder einfach weglassen könnte, ohne damit die Arbeitsqualität zu beeinträchtigen. Oft merkt man, dass das ganz schön viel ist. Arbeitsroutinen, die sich im Laufe der Zeit eingeschlichen haben, beinhalten oft Handgriffe, die manchmal (zu bestimmten Jahreszeiten, bei bestimmten Sorten…) oder generell gar nicht nötig wären.

Um herauszufinden, was man weglassen kann, lohnt es sich, einmal ganz genau hinzusehen und einzelne Tätigkeiten zu filmen. Bei der genauen Analyse der Filmaufnahmen (v.a. unter Zeitlupe) im Team entdeckt man oft überflüssige Handgriffe, deren man sich selbst gar nicht bewusst war. Wichtig ist, dass dabei die Arbeitsmethode im Mittelpunkt steht! Es geht nicht um die ausführende Person, die etwas “schlecht” oder “falsch” macht.

Idealerweise kann sich mit der Zeit eine lockere Lernkultur entwickeln, sodass wir Veränderungen nicht mehr als Gefahr, sondern als Chance sehen lernen. “Leere“ Handgriffe oder Vorgänge so Schritt für Schritt zu reduzieren, kann in Summe eine große Veränderung bewirken und jede Menge Zeit einsparen. Und genau diese frei gewordene Zeit können wir dann frei gestalten. Entweder mit weiterer Arbeit oder vielleicht doch lieber mit Familie und Freunden :-)

Was sind eure Gedanken dazu? Habt ihr derartige Überlegungen und Optimierungen schon bei euch am Betrieb umgesetzt? Wie sind eure Erfahrungen damit? Schreibt gerne in die Kommentare!

Fotos: Johannes Pelleter

 

Per Klick werden die Bilder im Großformat angezeigt. Hier erscheint dann auch die Bildbeschreibung mit einigen interessanten Anregungen.

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Praxistipp: Zeit sparen durch Reduktion der Greifwege